Ilse Weber

Die Hörfunk- und Kinderbuchautorin Ilse Herlinger wurde am 11. Januar 1903 in Witkowitz bei Mährisch-Ostrau (Ostrava), im Nordosten Tschechiens und rund zehn Kilometer von der polnischen Grenze entfernt, in eine jüdische, deutschsprachige Familie hinein geboren, fühlte sich aber ihr Leben lang als Tschechin.

Bereits im Alter von 14 Jahren verfasste sie erste jüdische Märchen und kleine Theaterstücke für Kinder und übersetzte tschechische Gedichte ins Deutsche und umgekehrt. Außerdem spielte sie Klavier, Gitarre, Laute, Mandoline, Balalaika, Ziehharmonika, sang und gab auch Gitarrenunterricht.

Als heranwachsendes Mädchen scharte sie eine Gruppe junger Menschen um sich, die über kulturelle, philosophische und aktuelle politische Fragen debattierten. Stundenlang wurde über Strindberg und Shaw, über Sozialismus, Kommunismus und andere Themen, die die jungen Leute bewegten, gestritten. Ein paar Jahre später gründete Ilse mit zwei Freunden den Kulturkreis »G.I.F.T.« (Geist, Intelligenz, Freundschaft und Treue), dessen Ziel die Popularisierung der modernen Musik und Literatur war. Basis aller literarischer Diskussionen war die von Ilse abonnierte Zeitschrift »Die Fackel« des Sprach- und Kulturkritikers Karl Kraus, zu dessen Anhängerschaft die Gruppe gehörte. Ilse vertrat weder den Zionismus noch den Sozialismus, obwohl sie über die Ideen der beiden Auffassungen intensiv nachdachte. Später neigte sie den Linksorientierten zu, trat aber in keine Partei ein.

1930 heiratete sie Willi Weber und bekam mit ihm die Söhne Hanuš (geb. 1931) und Tomáš »Tommy« (geb. 1. Januar 1934). Die Familie lebte zunächst in Ostrau. Nach der Besetzung Böhmens und Mährens durch die Wehrmacht im März 1939 gelang es, den älteren Sohn mit einem Kindertransport nach England zu schicken, wo ihre Brieffreundin Lilian, eine schwedische Diplomatentochter, sich um den Jungen kümmerte. Er überlebte den Holocaust schließlich in Schweden. Das Ehepaar Weber zog mit dem jüngeren Sohn nach Prag, wo sie sich sicher glaubten. Am 6. Februar 1942 wurden Ilse, Willi und Tommy in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Ilse Weber arbeitete hier als Krankenschwester in der Kinderkrankenstube und schrieb für die inhaftierten Kinder über sechzig Gedichte und Lieder. Schließlich wurde sie mit ihrem Sohn von Theresienstadt in das Vernichtungslager Auschwitz gebracht und am 6. Oktober 1944 ermordet. Beim Gang in die Gaskammer soll Ilse Weber für ihn und die anderen Kinder das von ihr komponierte »Wiegala« gesungen haben. Willi Weber überlebte den Holocaust und lebte in den Nachkriegsjahren gemeinsam mit seinem Sohn Hanuš in Prag.

Ilse Webers Lieder und Gedichte dokumentieren das Leid und Leben im Lager. Die Autorin fasste Gefühle der Gefangenen in Worte und gab den Mithäftlingen Mut und Hoffnung.  Willi Weber versteckte ca. 50 niedergeschriebene Werke in Theresienstadt und konnte sie nach der Befreiung bergen. In den ersten Nachkriegsjahren schickten andere KZ-Überlebende weitere Gedichte Ilse Webers an Willi und Hanuš. Sie schilderten in ihren Begleitbriefen, wie diese Texte ihnen geholfen hatten, ihren Lebenswillen nicht zu verlieren.

Ilse Weber
Ilse Weber singt zur Gitarre (1942), gezeichnet von Malva Schalek im KZ Theresienstadt
Bildernachweis:
Ilse Weber, Wann wohl das Leid ein Ende hat
Herausgegeben von Ulrike Migdal
© 2008 Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG, München